Am 23. Februar 2025 steht die Bundestagswahl an. Diese Wahl wird auch darüber entscheiden, wie sich die Verkehrswende in den nächsten vier Jahren weiterentwickeln wird. Die Fragen, die sich der Bundestag dafür stellen muss, betreffen zum Teil sehr konkret die Region Hannover. Deshalb haben wir die Direktkandidierenden von SPD, CDU, Grüne, FDP und Linke aus allen vier Wahlkreisen in der Region gefragt, wie sie sich zu wichtigen verkehrspolitischen Fragen bei uns vor Ort positionieren. Aus dem Wahlkreis 47 Hannover-Land II haben Dr. Matthias Miersch (SPD), Dr. Michael Steinke (Grüne) und Dirk Tegtmeyer (Linke) unsere Fragen beantwortet.
In der Region Hannover sind auf Bundesebene mehrere wichtige Bahnprojekte geplant, darunter die Aus- und Neubaustrecken nach Hamburg und Bielefeld sowie der Ausbau des Knotens Hannover. Wie werden Sie sich im Bundestag dafür einsetzen, dass diese Projekte umgesetzt werden?
Dr. Matthias Miersch (SPD):
Um den Herausforderungen des Klimawandels wirksam zu begegnen, müssen wir Mobilität zukunftsorientiert gestalten und den Güter- sowie Personenverkehr verstärkt auf die Schiene bringen. Es bedarf daher einer dringenden Modernisierung des deutschen Schienennetzes, da eine Transformation des Schienenpersonenverkehrs nur möglich ist, wenn dem Bürger bezahlbare und schnelle Verbindungen, gute Anschlüsse und Pünktlichkeit geboten werden.
Die S-Bahn Hannover hat innerhalb von nur vier Jahren knapp sieben Millionen Fahrgäste verloren. Signalstörungen, Weichenprobleme und Ausfälle sind mittlerweile Alltag der Bahnreisenden. Um das Vertrauen der Fahrgäste zurückzugewinnen, muss seitens der Bahn die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des bestehenden Schienennetzes gesichert und verbessert werden. Es ist schwer nachvollziehbar, wie die Bahn milliardenschwere Neubauprojekte rechtfertigen kann, während der alltägliche Verkehr auf den Bestandsstrecken in einem solch schlechten Zustand ist.
Zukünftig muss sorgfältig abgewogen werden, welche Neubauprojekte wie und wann vor dem Hintergrund des finanziellen Spielraums realisiert werden können. Die Sanierung des Bestandes ist eine Grundvoraussetzung.
Ziel muss es sein, die Verkehrswende erfolgreich voranzutreiben, den (Fern-)Verkehr auf der Schiene zu stärken und eine nachhaltige sowie verlässliche Mobilität für die Zukunft zu gewährleisten. Dafür ist es unerlässlich, dass die Deutsche Bahn die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des bestehenden Schienennetzes sicherstellt und verbessert. Das gilt sowohl für Hannover-Bielfeld als auch für Hannover-Hamburg.
Dr. Michael Steinke (Bündnis 90/Die Grünen):
Um die Klimaschutzziele einzuhalten, müssen wir sehr viel Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Diesen Verlagerungszielen müssen die Strecken genügen.
Dabei sind die Strecken nach Bielefeld und Hamburg sind für den Personen- und Güterverkehr ohne Frage von bundesweiter Bedeutung. Bei Planungen müssen aber auch die Bedarfe und Interessen der Kommunen vor Ort beachtet werden. Dabei setzen wir Grüne uns für die Bedürfnisse der Menschen ein: mehr Lärmschutz, bessere Bahnübergänge sowie neue Über- und Unterführungen. Und: wir nehmen auch den Nahverkehr in den Blick, denn von einem besseren Nahverkehr profitieren die Menschen konkret in ihrem Alltag. Bei Vorliegen verschiedener Trassenvarianten müssen diese zudem auf Kompatibilität mit den Klima- und Verlagerungszielen sowie dem Umweltschutz überprüft werden.
Als GRÜNE haben wir uns in dieser Wahlperiode für die Finanzierung der Sanierung und des Ausbaus der Bahn gekämpft. Mit dem Aufbrechen des Kreislaufs „Straße finanziert Straße“ ist es uns gelungen, deutlich mehr Geld als je zuvor in die Schiene zu investieren. In der nächsten Wahlperiode müssen wir jetzt auch beim Thema Ausbau vorankommen. Dafür braucht es eine solide Finanzierung, einen ehrlichen vernünftigen Austausch vor Ort und endlich Maßnahmen, die zeigen, dass es vorangeht.
Dirk Tegtmeyer (Die Linke):
Im Bundestagswahlprogramm 2025 fordert DIE LINKE eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und einen Ausbau des Bahnnetzes, darin wird nicht weiter auf einzelne Projekte Bezug genommen. Im Landtagswahlprogamm 2022 hat DIE LINKE. Niedersachsen eine bessere Hinterlandanbindung der Nordseehäfen gefordert und sich dafür die Option der sog. Y-Trasse offen gehalten: "Selbstverständlich kommt dafür auch der Bau neuer Trassen in Frage, die Orte erschließen würden, die bislang über keinen Schienennetzanschluss verfügen." Der Kreisverband DIE LINKE. Region Hannover hatte sich im September 2024 auf einer Mitgliederversammlung grundsätzlich für die Neubaustrecke Hannover-Bielefeld ausgesprochen.
Zwei kontrovers diskutierte Straßenprojekte des Bundesverkehrswegeplans in der Region Hannover sind der Ausbau des Westschnellwegs und des Südschnellwegs. Wie positionieren Sie sich zu diesen Projekten?
Dr. Matthias Miersch (SPD):
Beim Ausbau Bundesstraßen Süd- und Westschnellweg stellt der Bund dem Land Niedersachsen die Mittel zur Verfügung, damit die zuständigen Landesbehörden in die konkrete Planung und Umsetzung einsteigen können. Die detaillierte Planung, einschließlich Umweltverträglichkeitsprüfungen und Bürgerbeteiligungen, liegt daher im Verantwortungsbereich des Landes Niedersachsen und der lokalen Planungsbehörden. Die Stadt Hannover muss per Ratsbeschluss den Ausbauplänen zustimmen und dadurch den Startschuss für den Ausbau geben. Grundsätzlich ist es wichtig, unsere veraltete Infrastruktur zukunftsfähig auszubauen, dabei sind stets Umweltverträglichkeit und Verkehrssicherheit in den Fokus zu rücken und miteinander abzuwägen. Zudem müssen Maßnahmen wie der Ausbau der großen Verkehrsachsen auch dazu dienen, den Verkehr aus Wohngebieten herauszuhalten und so die Lebensqualität der Anwohner:innen zu schützen. Eine ausgewogene Planung, die diese Aspekte berücksichtigt, ist essenziell, um die Bedürfnisse aller Beteiligten zu wahren und eine nachhaltige Verkehrsentwicklung zu gewährleisten.
Dr. Michael Steinke (Bündnis 90/Die Grünen):
Mit dem Ausbau des Südschnellweg wird eine Planung umgesetzt, die aus der Zeit gefallen ist. Die zu mehr statt weniger Autoverkehr beiträgt. Die das Klimaschutzgesetz ignoriert. Die die Pläne und Beschlüsse von Stadt und Region Hannover für Verkehrswende und Klimaneutralität 2035 konterkariert. Der Südschnellweg soll im Bereich der Leinemasch fast doppelt so breit werden, sodass 10.000 Autos mehr über den Südschnellweg fahren können. Dafür wurden – und werden – Bäume gefällt und die Leinemasch auf Jahre zu einer großen Baustelle.
Angesichts der Klimakrise, angesichts nicht erreichter Ziele im Verkehrsbereich, angesichts der Belastungen für Mensch und Umwelt ist für mich klar: Verkehr und Mobilität müssen klimaverträglich werden. Da dürfen Sanierungsprojekte nicht länger zu breiteren Straßen mit höheren Kapazitäten führen. Ein Runder Tisch im Niedersächsischen Verkehrsministerium hat jedoch im vorletzten Jahr die Chance verstreichen lassen, eine Planungsänderung für den Abschnitt in der Leinemasch zu finden. Dabei wäre es möglich gewesen.
Die Ignoranz gegenüber der Klimakrise und des Festhaltens an einer Planung von vorgestern wider besseres Wissen zeigt: wir brauchen den entschlossenen Einsatz für Gesetze und Regeln, die Klimaschutz endlich angemessen berücksichtigen. Dafür werde ich mich auf Bundesebene weiter einsetzen.
Für die Erneuerung des Westschnellwegs fordern wir daher eine echte Sanierung – ohne Verbreiterung. Wo möglich, muss erhalten und repariert werden. Auch Ersatzbauten dürfen nicht für eine Verbreiterung benutzt werden. Natürlich sollen städtebauliche Potenziale genutzt werden, z.B. wenn durch einen Deckel neue Grünflächen geschaffen werden können. Und nicht zuletzt müssen die Klimaziele und die Verkehrswendeziele der Stadt, der Region, des Bundes (Klimaschutzgesetz; auch E-Klima der FGSV) in die Planung einbezogen werden. Die Verkehrssicherheit gilt es durch Geschwindigkeitsreduktion zu erhöhen.
Dirk Tegtmeyer (Die Linke):
Im Bundestagswahlprogramm 2025 fordert DIE LINKE. „Mobilität für alle“, eine „konsequente Mobilitätswende“, die in den „Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Schienennetzes sowie günstige Ticketpreise“ beinhaltet. Auf die Situation in Hannover angewandt ist also klar, dass ein Ausbau von Westschnellweg und Südschnellweg keine Lösung für den Staufrust der PendlerInnen ist. DIE LINKE. Basisorganisation Döhren-Wülfel sieht die Kapazitätserweiterung des Südschnellweges sehr kritisch, besteht auf der Beibehaltung der bisherigen Maximalgeschwindigkeit von 80 km/h und plädiert insbesondere für eine Schnellbusverbindung zwischen dem P+R-Hub in Wettbergen mit Döhren und Anderten, als Süd-Tangente des ÖPNV in Hannover.
Damit Kinder selbstständig zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen können, sind sie auf ein sicheres Umfeld im Straßenverkehr angewiesen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, Kommunen vor Ort mehr Gestaltungsspielräume für sichere Schulwege zu ermöglichen?
Dr. Matthias Miersch (SPD):
Eine kindgerechte Verkehrsgestaltung unterstützt alle Kinder dabei, sich sicher und selbstständig in ihrem Wohnumfeld zu bewegen, sei es auf dem Schulweg oder auf dem Weg zu Freizeitangeboten. In der Ampel-Koalition haben wir 2023 das Straßenverkehrsrecht reformiert, sodass Rechtsverordnungen nun auch zur Verbesserung des Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie zur Förderung der städtebaulichen Entwicklung erlassen werden können. Diese Änderungen erleichtern es den Kommunen, Tempolimits, Busspuren oder Flächen für den Radverkehr einzuführen, insbesondere in Bereichen, die von Kindern genutzt werden, wie der Weg zur Kita, Schule oder zu Spielplätzen. Damit haben wir ein solides Fundament geschaffen. Die Kommunen sollen ihre neuen rechtlichen Möglichkeiten aktiv nutzen, um Fahrradstraßen einzurichten, Tempo-30-Zonen vor Schulen zu etablieren und sichere Radinfrastrukturen zu schaffen. Dennoch reicht dies allein nicht aus, da Kinder und Jugendliche im Straßenverkehr besonders gefährdet sind. Durch gezielte finanzielle Förderungen kann das Bundesministerium für Digitales und Verkehr zudem innovative Projekte unterstützen, die darauf abzielen, die Verkehrssicherheit zu verbessern und Sensibilisierung zu schaffen, beispielsweise durch den Einsatz modernster VR- Technik oder realistischen 3D-Simulationen und neuer Ansätze zur Unfallprävention. Durch die Kombination aus erweiterten rechtlichen Befugnissen für Kommunen und effektiver Sensibilisierung für Kinder und Eltern sind wir auf einem guten Weg, die Verkehrssicherheit für junge Menschen zu erhöhen.
Dr. Michael Steinke (Bündnis 90/Die Grünen):
Das von uns erkämpfte neue Straßenverkehrsrecht ermöglicht es, dass Kommunen in Sachen Schulwegsicherheit einen riesigen Schritt nach vorne gehen können. Seit Oktober gilt die neue StVO - Kommunen können jetzt loslegen. In den nächsten Wochen wird die neue Verwaltungsvorschrift zu StVO beschlossen und letzte Fragen der Kommunen zu den neuen Handlungsspielräumen beantworten.
Darüber hinaus gibt es weitere Verbesserungen für die Schulwegsicherheit, die wir für eine nächste StVO-Novelle fordern. Dazu gehören insbesondere Schulstraßen, also temporär (zu Öffnungs- und Schließzeiten) oder permanent für den Kfz-Durchgangsverkehr gesperrte Straßenabschnitte im direkten Umfeld der Schultore. Wir halten es zudem für sinnvoll und notwendig, die Entscheidung für Tempo 30 innerorts komplett in die Hand der Kommunen zu legen.
Dirk Tegtmeyer (Die Linke):
Um die Sicherheit von FußgängerInnen und Fahrradfahrenden im Straßenverkehr zu erhöhen, ist die Ausweißung von Tempo-30-Zonen ein gutes Mittel. DIE LINKE. fordert im Bundestagswahlprogramm 2025, dass Tempo 30 innerhalb von Ortschaften Pflicht wird, außer auf den Hauptverkehrsachsen. Direkt vor Schulen lassen außerdem sog. „Schulstraßen“ ausweisen, durch die sich der Hol- und Bringverkehr durch PKW der Eltern unterbringen lässt. Dirk Tegtmeyer hatte als Kommunalpolitiker diese Forderung in Gehrden unterstützt.