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Landesverband Niedersachsen, Bahn & Bus, Güterverkehr, Infrastruktur, Schienenverkehr, Verkehrspolitik
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Gespräch mit Wirtschafts- und Verkehrsminister: Olaf Lies beharrt auf Dreigleisigkeit zwischen Lüneburg und Uelzen gemäß Dialogforum Schiene Nord

Ein guter Tag für alle Kommunen, an denen der Kelch - pardon, der Zug - möglicherweise vorübergehen wird. Auch Minister Lies will keinen viergleisigen Ausbau der Bestandsstrecke durch die Hansestadt Lüneburg, ebenso keine „Ortsumfahrungen“, insbesondere durch die Samtgemeinde Gellersen. Er will aber auch keine Neubaustrecke entlang A7 und B4. Bleibt für Lies nur ein zusätzliches drittes Gleis zwischen Lüneburg und Uelzen gemäß Dialogforum Schiene Nord. Das allerdings wird in Gemeinden wie Deutsch Evern nicht auf Gegenliebe stoßen.

Ein schlechter Tag für alle, die auf die Verkehrswende setzen, denen aktiver Klimaschutz durch besseren Schienenverkehr etwas bedeutet und die unter anderem mit dem Deutschlandtakt auf mehr und schnellere Bahnverbindungen setzen, die ein Mindestmaß an Qualität aufweisen. Unbegreiflich, wie verkehrliche und Umweltinteressen einem politischem Kalkül untergeordnet werden.

Bemerkenswert, wie Rot und Grün 2015 mit dem „Dialogforum Schiene Nord“ ein Gremium kreierten, das nach jahrelanger Untätigkeit in Sachen Schieneninfrastruktur der Politik die Entscheidung abnehmen sollte. Auch mehr als sieben Jahre später sind die globalen Entwicklungen und Erfordernisse nicht bis ins Niedersächsische Wirtschafts- und Auto(bahn)ministerium vorgedrungen, sodass es sich weiter an ein windelweiches Votum von Schienenverkehrsgegnerinnen und -gegnern klammert, das damals kein ernstzunehmender Fachverband unterzeichnet hatte.

Nein Herr Lies, der Anteil des Güterverkehrs auf der Straße beträgt in Deutschland nicht (mehr) 90 Prozent, sondern gut 72 Prozent. Der der Schiene liegt insgesamt bei fast 20 Prozent. Und eigentlich ging es ja um den Seehafenhinterlandverkehr. Betrachten wir den Modal Split im Container-Hinterlandverkehr des Hafens Hamburg, so liegt dieser bei über 53 Prozent für die Schiene, in Bremerhaven bei 48,3 Prozent, Tendenz jeweils steigend. Insofern macht die Behauptung, dass vier Gleise gegenüber dreien kaum einen Unterschied machen, keinen Sinn. Wenn etwa die Hälfte des Container aus den Häfen über eine bestehende zweigleisige Infrastruktur abgefahren werden, dann muss allen klar sein, welches Potenzial in vier Gleisen, also einem Kapazitätszuwachs von 100 Prozent, steckt, auch wenn die neuen Kapazitäten selbstverständlich nicht vollständig dem Güterverkehr zugute kämen, sondern auch dem Personenverkehr. Ein einziges zusätzliches drittes Gleis, wie es Herr Lies anstrebt, schafft dagegen nur ein Plus von 20 bis 30 Prozent, was in Bezug auf Kosten, Beeinträchtigung von Bahnkunden und Bauzeit absolut unwirtschaftlich wäre, ob man nun das Kriterium „Nutzen-Kosten-Verhältnis“ (NKV) mag oder nicht. Sehen wir die Fortschritte in der mit Hochdruck zweigleisig elektrifiziert ausgebauten Schienenanbindung des Jade-Weser-Ports Wilhelmshaven und die Spitzen gegen die Hansestadt Hamburg, dann drängt sich der Eindruck auf, dass es vordringlich um ein Prestigeprojekt geht, dem größten deutschen Seehafen Marktanteile abzunehmen und die Daseinsberechtigung des Jade-Weser-Ports zu verfestigen. Die Verkehrswende und die südliche Metropolregion Hamburg - in Niedersachsen -, die stark mit Hamburg verflochten ist, bleibt dabei auf der Strecke. Und dass wir, wie am Abend des 8. Februar 2023 in Lüneburg geschehen, den Verkehrsminister noch von den Vorteilen des Deutschlandtakts und schnellen Personenfernverkehrs überzeugen müssen, das hat doch surreale Züge. Wir empfehlen dazu ein Studium des „Integralen Taktfahrplans“ beispielsweise der Schweiz (seit 1982) oder der Niederlanden (seit 1972) mit funktionierendem Schienenverkehr und einen Gedanken an Reisen ohne Inlandsflüge.

Zum Schluss: Selten einen ganzen Abend mit so viel Bahn-Bashing erlebt. Es bleibt irritierend, wie sich Politik von den verkehrspolitischen Sprechern der Landtagsparteien bis hin zum Landesverkehrsminister aus der Verantwortung stiehlt. Zugegeben, die Schieneninfrastruktur, über die wir reden, ist Bundesangelegenheit. Aber über das, was gebaut werden soll, entscheidet letztlich die Politik, hier der Bundestag, und nicht wie dargestellt selbstherrlich die Deutsche Bahn. Angesichts der Haltung der Landesregierung bleibt die Hoffnung, dass unsere Bundespolitikerinnen und -politiker ihrer Verantwortung gerecht werden und eine Entscheidung für eine zukunftsfähige und klimaschonende Lösung treffen. Es ist höchste Eisenbahn.

Quellen:
www.hafen-hamburg.de/de/statistiken/modal-splitwww.allianz-pro-schiene.de/themen/gueterverkehr/marktanteile/www.forschungsinformationssystem.de/servlet/is/538768/

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